Das andere Ufer

Während auf der Ostseite (himmelsrichtungstechnisch gesehen ist es ja eigentlich die Westseite) der Havel, das Betreten des Strandstreifens im schlimmsten Fall zum Tod geführt hätte, befand (und befindet sich ja noch immer) auf der Westseite (also der Ostseite...) der Schlosspark vom Schloss Glienicke. Hier traf sich unsere „Englandtruppe“ oftmals an einem sonnigen Sonntag zum großen Picknick. Die „Englandtruppe“ war eine Gruppe von etwa 20 Leuten, die sich 1984 bei einer Familienfreizeit des Bezirksamtes Wilmersdorf im englischen Bournemouth kennen gelernt hatten und die - im Kern - bis heute ganz engen Kontakt haben. Auf einer großen Wiese packten wir dann die Decken aus, holten die ganzen Fressalien aus den Kühlboxen und spielten Federball oder Frisbee (ja, das gab es auch mal...). Ich war schwer verliebt in ein Mädchen aus dieser „England-Truppe“. Leider verlief das aber wie so oft ziemlich einseitig. Das führte dazu, dass ich in einen der Bäume dort ein großes Herz ritzte (ja, ich gebe es zu). Doch so wie die Situation nun mal war, musste ich die Initialen auf der rechten Seite des ‚+’ weglassen. Nicht eine Sekunde dachte ich darüber nach, dass sich am anderen Ufer eine stacheldrahtgesicherte Zonen- oder Staatsgrenze befand. Viel zu normal und irgendwie selbstverständlich war die ganze Situation geworden. Und außerdem war ich auch voll anderer Gedanken an diesen sonnigen Sonntagen... Vor einiger Zeit bin ich mal wieder dort gewesen. Das Herz existiert immer noch, nur ist es jetzt viel größer und vermoster – und auf der anderen Seite der Havel gehen jetzt Menschen spazieren.