Empfangsgebäude ohne Empfang

Mauerfoto: Empfangsgebäude ohne Empfang aus

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Der S-Bahnhof Wollankstraße liegt auf östlichem Territorium und ist von dort nicht zugänglich. Die dort verkehrende S-Bahn fährt jedoch im westlichen Teil von Berlin.

Fotografiert am:

10.6.1984

Ort:

Nordbahnstraße

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Am S-Bahnhof Wollankstraße auszusteigen, war besonders merkwürdig. Der Bahnhof selbst lag im Ost-Berliner Grenzgebiet und wurde von der DDR betrieben, d. h. die Zugabfertiger waren Angestellte der (Ost-) Deutschen Reichsbahn. Allerdings war der Bahnhof nur von West-Berliner Gebiet zugänglich und konnte auch nur von West-Berlinern genutzt werden. Das eigentliche Bahnhofsgebäude war geschlossen und sämtliche Fenster und Türen waren zugemauert. Geöffnet war lediglich ein kleiner Seiteneingang, den man von der Nordbahnstraße aus erreichte. Die Benutzung des Bahnhofs war immer wie eine Reise in eine andere Welt. Hier endeten die Einflusssphären der kapitalistischen Werbewirtschaft. Wenn überhaupt hing hier ein kleiner Aushang über die Benutzungsbedingungen der Reichsbahn. Die Zugabfertiger trugen ganz andere Uniformen als ihre West-Berliner Kollegen bei den Berliner Verkehrsbetrieben (BVG). Aber auch wenn man von hier aus mit der S-Bahn fahren konnte, tat man das bis 1984 als West-Berliner nicht. Seit 1961 boykottierten die West-Berliner als Reaktion auf den Mauerbau die zum „Osten“ gehörende S-Bahn. Im Prinzip fuhren die Züge leer durch West-Berlin. Die West-Berliner BVG hatte parallel zu den S-Bahnstrecken eigene Busse eingesetzt. Erst als 1984 die Verantwortung des West-Berliner Teils der S-Bahn von der Deutschen Reichsbahn an den West-Berliner Senat überging, wurde die S-Bahn wieder zu einem rege genutzten Verkehrsmittel. Die auf Ost-Berliner Territorium liegenden Bahnhöfe wurden aber weiterhin von der Deutschen Reichsbahn betrieben. Das war dann endgültig skurril. Man fuhr mit westlichen Zügen (und den entsprechenden Werbetafeln) und stieg an einem Ost-Bahnhof aus. Wenn man das hier noch einmal so aufschreibt, glaubt man es ja fast selber nicht mehr. Aber so voller Absurditäten war das in Berlin tatsächlich. Nur hatte man sich daran so gewöhnt, dass es einem schon gar nicht mehr absurd erschien.
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