Bäume und Beton

Mauerfoto: Bäume und Beton aus Märkisches Viertel

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Entlang des Mauerstreifens entwickelt sich im Laufe der Jahrzehnte eine reichhaltige Natur.

Fotografiert am:

11.6.1984

Ort:

Wilhelmsruher Damm (Nähe), Märkisches Viertel

Geschichten zum Bild

Der Traum.Alp - Text aus dem Jahre 1989, April Ich fiel, fiel tief, zwischen die grauen regentränendurchnässten Häuser Berlins. Eine Wolke formierte sich zu einem schlängelnden scharfkantigen Tier in einer Landschaft, nein, in zwei Landschaften. Es trennte diese voneinander. Die eine Landschaft ist der Spielplatz meiner Kindheit. Ein Hof mit Klettergerüst und Wippe in Wilhelmsruh. Erst hinter seiner wohnzimmerhaften Abgeschlossenheit begannen die Abenteuer, auf einem verwilderten großen Grenzgebiet, wo wir, laut polizeilicher Anordnung vor den Kontrollen der Eltern sicher waren. Nur die „Unschädlichen“ – Polizisten und Kinder – durften es betreten. Und hier fanden sie statt, die Kämpfe zwischen den kleinen Armeen der Guten und Bösen, für die das Brombeergestrüpp als Unterstand diente. Später bauten wir hinter dem Gestrüpp Erdhöhlen für die ernstgemeinteren Variationen von Mutter-Vater-Kind. Es waren feuchte dunkle Löcher, die wir nur mit Taschenlampe betraten und wo wir unseren Keksvorrat verzehrten. Eines Tages bekamen wir Besuch. Ein langer grünuniformierter Polizist äugte misstrauisch in den dunklen Eingang, aus dem wir, von allen Seiten mit Sand paniert, hervorkrochen. Er befahl uns, sofort unsere Höhle zu zerstören. Unsere Fragen blieben, wie so oft, unbeantwortet. Allein die Größeren ahnten den Grund und waren stolz darauf, was man ihnen zutraute. Sie würden bald zu jener Kategorie Mensch gehören, die hier nicht mehr her durfte. Ich aber versorgte weiter die „Grenzer“ hinter dem Drahtzaun mit Schrippen. Es waren jene jungen Menschen, die Sonntag Morgen unsere Häuserfront mit dem Feldstecher absuchten und aus Langeweile die Marmeladensorten der Frühstückstische zählten – jedenfalls behauptete das mein Vater. Ich verstand nicht, warum es Spaß machen konnte immer wieder nur bis drei zu zählen. Wenn mein Vater gute Laune hatte und die auf uns gerichteten Ferngläser entdeckte, winkte er mit beiden Armen in Richtung des Turmes und hielt die Kanne duftenden Kaffees in die Höhe. Hatte er schlechte, holte er seinen Fotoapparat und tat so, als würde er fotografieren. Meist endete das zehn Minuten später mit einem Besuch unseres Abschnittsbevollmächtigten, der nach einer erneuten Belehrung über das Verhalten im grenznahem Gebiet wieder unverrichteter Dinge abzog, weil kein Film im Apparat war. Danach hatte mein Vater wieder gute Laune. Auch andere schauten auf unser Leben in der Fontanestraße. Wenn wir Mittag aßen, stiegen die Familien hinter der weißen Mauer auf ein Trittbrett und versuchten herauszufinden, was mit uns eigentlich los war. Wir wiederum saßen bei schlechtem Wetter hinter den geschlossenen Fenstern und beobachteten auf jenem sauberen Grünstreifen, den wir nie betreten konnten, die frei herum laufenden Hasen. An einem Winterabend fielen sämtliche Beleuchtungsanlagen aus. Es stand dicker Nebel über dem gesamten Gebiet. Wir hatten die Fenster geöffnet und spürten die hereinströmende Kälte kaum. Wir flüsterten uns unsere Gedanken zu und plötzlich hörten wir von nebenan ebenso leise gesprochene Worte. Dann streckte ich den Kopf heraus und ich sah noch drei andere Familien, die wie gebannt auf die dunkle Nebelwand starrten. Das Bild dieses Niemandslands kannte ich mit geschlossenen Augen: Zuerst geht die gedachte Linie an Wippe und Klettergerüst vorbei, über die Betonplatte zum Rollschuhlaufen hinweg, rechts am Turm der „Grenzer“ vorbei, über die Mauer hinweg, bis zu der Fabrik, über die meine Eltern gesagt hatten, die Luft von dort stinke, weil man aus Knochen da Seife herstelle. Diesen Geruch mit der duftenden Seife der Westpakete in Verbindung zu bringen, dazu aus grusligen Knochen, von denen ich mir nicht vorstellen konnte, wem sie eigentlich gehörten, war schier unmöglich. Am Ende dieser gedachten Linie ersetzte ich die fehlenden Bilder mit den Ansichtskarten meines Onkels aus Westberlin. Bei Nacht fotografiert waren sie am Schönsten, soviel Licht und Glanz musste einfach glücklich machen. Später kamen die Träume: an der Mauer entlang gehen und ein Loch darin entdecken; im Dort-Drüben stehen und niemanden kennen; auf der Mauer balancieren und „aus Versehen“ auf die andere Seite fallen...Einmal ging ich im Traum durch das Loch hindurch: In einem Café wurden dünne braune Zigarillos auf einem Silbertablett angeboten und vom Kellner auf die gewünschte Länge zugeschnitten. In einer Gondel schwebte ich leicht über die Stadt hinweg, in der Hand die Fahrkarte, die essbar und schmackhaft war. Aber die Gondel fuhr immer schneller, die Wolkenkratzer neben mir wuchsen höher und höher. Bürofenster rasten vorbei und die Straßenschlucht öffnete sich unter mir und wurde zu einem brodelnden Schlund. Die Gondel tanzte teuflisch am Seil. Dann riss der Stoff, der über die Himmelskuppel gespannt war entzwei, oder das Seil, oder mein Herz. Ich stürzte, überschlug mich und fiel... auf einen Hof mit Klettergerüst und Wippe in Wilhelmsruh.
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